Sonntag, 19. Mai 2024

3670 Wie spät ist es?

 



14:16. Im Garten bei leidlich sonnigem Wetter mit frischem Wind (frisch gepresst? Frisch gemahlen? - der innere Spötter), die Vögel singen, die Autos fahren, die Menschen reden, irgendwo hat es gescheppert, anscheinend harmlos (wie ich nachträglich recherchiert habe, war das der Bus 39A, der über einen Kanaldeckel gefahren ist, denn das macht er öfters – der Korrektor). Mein Blick geht aus spitzem Winkel die Baumreihe entlang und bleibt beim scheußlichen Neubau hängen. Dieses einfallslose, schlecht funktionierende Funktionsgestelle, pseudokreativ mit unnötigem Schnickschnack nicht einmal behübscht. Egal, ich schaue auf die Blätter und Zweige und Blumen und Gräser, die im zeitweise schon lästigen Wind zittern und schwanken. Weiße Wolken sausen rasch über das blaue Himmelszelt – wenn ihr mir erlaubt, es so bedeutungsüberladen und ein wenig falsch auszudrücken. [Ja – Nein. Zutreffendes bitte ankreuzen!] Ein Flugzeug rauscht über irgendwelche Kirchenglocken (Samstag Nachmittag! Oft eine Hochzeit!) (Die Hochzeiten habe ich schon als kindlicher Ministrant genauso wenig mögen wie Begräbnisse, obwohl es dabei immer gutes Trinkgeld gegeben hat. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.) Im Nachbarhaus schlägt eine Tür zu, ebenso unten auf der Straße bei einem Auto zwei. (M)Eine Frau seufzt laut. „Wie spät ist es?“ fragt jemand. „Halb drei!“ antwortet jemand anderer. Unter der großen Thuje hat sich ein Sonnenfleck gegen die Wolken gehalten, aber jetzt ist auch der verschwunden. Ganz sachte kommt er wieder. Noch ein Flugzeug röhrt schwingungsvoll und amplitudenreich über den Verkehrslärm. „Mein liebes Kind, mein Augenstern, ich hab dich lieb, ich hab dich gern!“ (aus dem originalen Kontext gerissen, hoffentlich!) Ein Kuckuck ruft, eine Krähe schreit, jemand klopft arbeitsmäßig auf Holz. Der Autolärm reißt niemals ganz ab. Kurz jault ein Hund auf. Ich blicke Richtung 73° Ost. Die lebendige Realität krabbelt in Gestalt zweier Ameisen über die Schieferplatten des Gartenweges.


(18.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3669 Das Flache

 



Ich stoppe den Film und als ich aufschaue, ist plötzlich alles so flach. Ein bestenfalls mittelmäßiger Krimi, damit habe ich meine Zeit totgeschlagen, als hätte ich noch so viel davon. Oder versuche ich damit, noch irgendwas herauszufinden? Klingt ja auch blöd. Oder nicht? Schließlich mag ich Geschichten. Innen höre ich immer noch Passagen aus „Unter dem Mostbirnenbaum“ von Brot und Sterne und das hilft. Ich bin wieder bereit, herumzugehen. Dieses Flache, das mir fast die Luft genommen hat, ist wieder weg. Ich seufze tief.Vom Leben habe ich keine Ahnung.


(17.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3668 Stiegensperre

 



6:48 a.m. Es regnet! Es regnet! Die – - werden nass! Liebe Leserin, lieber Leser: bitte sucht ihr das richtige Wort. Zweisilbig muß es sein - die zwei Bindestriche sollen das symbolisieren - und in Mehrzahl. Ich weiß schon: im Original heißt es – wenn ich mich richtig erinnere: „Kinder“. Aber für euch Erwachsene und mich Altem passt das nicht mehr (auch wenn ich mich wie ein Kind über den Regen freue). „Menschen“, „Leute“ ist mir zu wenig, weil ja auch „Bäume“, „Blumen“, „Wiesen“, „Pflanzen“, „Tiere“ nass werden und die „Dinge“ auch. Aber das alles passt mir nicht; „Dinge“ ist substantiell zu wenig.

Darüber werden mir Augen und Geist müde und fallen zu. Das Gehör bleibt noch offen und hört den Regen. Von unten kann ich die Vorbereitungen auf die Tageskinder hören, wie zum Beispiel das Einsetzen der Stiegensperre, von dem ich wieder aufwache. Irgendwelches Geschirr fällt mir ein, aber obwohl es sich irdisch verkleidet, gehe ich davon aus, dass es sich drüben befindet, denn rund um das Geschirr ist es dunkel.


(17.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3667 Mostbirnenbaum

 



0:41 a.m. Seit Tagen schon geht mir dieses schöne Musikstück „Unterm Mostbirnenbaum“ von Brot und Sterne in meinem Inneren herum und erfüllt mich jedesmal mit melancholischem Glück, wenn ich es zulassen und innerlich hören kann. Vorm Einschlafen gerade richtig; ich hoffe, dass es meine Seele befrieden kann, auf dass ich nicht schlecht träume. (Natürlich kann ich mich nur an Bruchstücke erinnern.)


17.5.2024


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Donnerstag, 16. Mai 2024

3666 Gar nichts

 



12:12. In der Albertina sitze ich beim depperten Kardinal. Also vorm Spiegel. Aus dem Spiegel blickt ein Idiot her – der Kardinal – und einer, der mir nicht wesentlich besser vorkommt: auch irgendwie eine verhuschte Existenz – beim Kardinal wird das durch die strenge, schwere und kirchengeschichtliche Kleidung zu verdecken versucht – Oh! Der Schröder schreitet telephonierend an mir vorbei! - zurück zum Spiegelbild: die Hose unten komisch aufgebogen, eine zusammengesunkene Gestalt, ohne Körperspannung, die Kappe, die Brille und das Gesicht irgendwie (schon wieder! Der Korrektor) unpassend. Dafür sieht man – als Entschädigung – im Spiegel drei gespiegelte Klees. Nichts passt wirklich. Das habe ich heute schon beim Aufstehen bemerkt. Jetzt staut es sich ein wenig im schmalen Durchgang. Das hat mit stehen gebliebenen Betrachtern der Kardinalskulptur zu tun und mit meinen überschlagenen Beinen – wobei ja immer das eine absteht und hier in den engen Gang ragt. Die Aufsicht wird schon auf mich aufmerksam – kommt mir vor – ich sollte vielleicht weiter gehen. Ich sollte vielleicht wirklich weitergehen.

Nächste Rast bei den bladen Sphinxen: wieder Spiegeln gegenüber, in denen ich ein verhunzeltes Männchen sitzen sehe (und vorhin überraschenderweise einen Nachbarn vorbeigehen). Mein nie ganz freier und nie ganz unschuldiger Blick taxiert die Vorbeigehenden. Bei mir ist überhaupt keine Expertise, keine Exzellenz, nur ein dumpfes Gefühl im Kopf, begleitet von leichtem Kopfweh. Ich betrachte verlegen und aus Verlegenheit das Preispickerl am Pilotstift – ich schaffe es heute nicht, es abzuzupfen: meine Seele ist dazu nicht stark genug. Soll ich doch lieber ins Freie gehen?

Nun sitze ich heraußen auf der Rampe. Die frische, heute kühlere Luft tut mir gut. Interessant ist: links weht der Wind das rote Lesezeichenbändchen von links ins Notizbuch, rechts blättert er die rechten Seiten von rechts auf (ich schreibe auf der linken Seite). Auf meinem T-Shirt steht „Gar nichts!“ - und so fühle ich mich auch. „Gar nichts!“ ist müde. „Gar nichts!“ will nach Hause gehen. „Gar nichts!“ will sich aufs Bett legen. „Gar nichts!“ kämpft gegen seinen Überdruss. „Gar nichts!“ ist nicht einmal ein Windhauch in dieser Welt.


(16.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

3665 Finita

 



0:13 a.m. Geschichten, Fragmente, Szenen schwirren durch mein träges Gehirn; nichts wird ausgearbeitet, nichts vertieft; müde bin ich hinter den Augen und an der Nasenwurzel staut sich etwas. Die Augen fallen mir zu und der Stift aus der Hand. Finita la commedia. Für heute.


(16.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com

Dienstag, 14. Mai 2024

3664 Das Universum schickt Soldaten aus

 



12:05. Der Arbeiter bohrt auf der Leiter gut unterstützt von seiner Mannschaft (mit einer Frau) ein Loch in die obere Ecke eines metallenen Tür- und Fensterrahmens, wenn ich es richtig sehe. Der blaue Kran vor der Kirche steht unbewegt – soweit ich es von hier aus sehen kann. Eine angenehme Musik im Café und von draußen von der kleinen Kreuzung blickt das auf seriös gemachte Gefrieß eines EU-Wahl-Kandidaten herein, der jedoch – so kommt mir vor – sehr erschrocken und schmerzhaft dreinschaut. Heute ist die Straße sehr belebt und überhaupt nicht fad. Die Sonne kommt nur auf zwei Flecken herein. Mein Gott! Ich und die Melancholie! Die kann ich wohl immer und überall abrufen! Auf der Straße sehe ich durchaus einiges an Fröhlichkeit, auch das traurige Saxophon aus den Boxen spielt auf fröhlicher Perkussion. Ich bin zum Leben mehr ein Voyeur. Die Distanz löst sich nicht wirklich auf. Aber das macht nichts (wirklich nicht?). Ein Lastwagen zwängt sich durch die unübersichtliche Baustelle, blinkt und tütet dabei im Rückwärtsgang. Ich versuche, die Gesichter der Passanten zu lesen, aber dafür bin ich zu verstrickt und blöde. Zu verstrickt in meine eigenen Chose, als dass ich die der anderen erkennen könnte. Sie erkennen sich nicht. Der fast immer elegische Wind bewegt die Sonnenplane des Gastgartens auf der Straße. Vielleicht ist in mir etwas ganz Böses (wenn man das so nennen will); aber ich will gerade daraus kein Drama machen. Außerdem gibt es nur Energie. Die große Karmeliterkirche, von der ich nur eine Seite, das Dach und ein paar Figuren und Dachzierden sehe, kann mich nicht mehr hervorlocken, die Inszenierung wirkt auf mich eher lächerlich und religiös (wenn man das so nennen will) unglaubwürdig; da war schon längst alles verloren. Schade eigentlich, speziell für Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz. Meine transzendentale Sehnsucht (wenn man das so geschwollen bezeichnen will), die vielleicht aus echter Ahnung von denen da drüben kommt, habe ich nicht in einen sinnvollen und erfolgreichen Kampf um Bewußtseinserweiterung verwandeln können, aber diese Ahnung aufgeben und ins „normale“ (wenn man das so nennen will) Leben finden, geht schon längst nicht mehr; ich bleibe dem fremd. Nicht Fisch und nicht Fleisch. Ich weiß zu viel und ich weiß zu wenig. Aber das ist völlig egal. Das Universum schickt Soldaten aus, seine Kundschafter und Versuchskaninchen. Der Lastwagen rollt aus der Baustelle raus. Heute ist es spannend hier, die Straße ist belebt, es spielt sich viel ab, auch wenn ich es weder durchschaue noch verstehe. Aber es hält mich hier.


(14.5.2024)


©Peter Alois Rumpf Mai 2024 peteraloisrumpf@gmail.com